
Frank Xerox’ wüster Traum
und andere Kollaborationen
Autor | |
Quelle | Sonstige Datenquellen |
ISBN | 978-3-86638-469-9 |
Lieferbarkeit | lieferbar |
Katalogisat | Basiskatalogisat |
Verlag | Dielmann, Axel |
Erscheinungsdatum | 31.03.2025 |
Beschreibung (Langtext)
Im Herbst 1969 bis zum Herbst 1970 hatten Ralf-Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann, deren legendäre Beatnik-Anthologie ACID gerade erschienen war, eine ganz andere Kollaboration: Sie trugen nicht gemeinsam Texte und Bilder (amerikanischer) Autoren und Künstler zusammen, sondern schrieben selbst neue Texte.
Dabei verfolgten Sie den Ansatz, die klassische, zumeist verklärte »Autorschaft« aufzulösen und die im Wechsel entstehenden und einander collagierenden Texte zu vergemeinschaften: Sie verstanden die im Austausch und in wechselseitiger Anregung sich entwickelnden Texte als neue literarische Gattung, quasi ohne Autor.
»Frank Xerox’ wüster Traum« ist dabei eine Hommage an die dahinter liegende Idee des Kopierens aus der Sprache, des Collagierens vorhandenen Sprach-Materials – gerade einmal 10 Jahre zuvor 1959 war von Xerox der erste Groß-Kopierer ausgeliefert worden, an den hier zugleich erinnert wird.
Unser Band zeichnet die Arbeit am dem damals geplanten Buch nach. Durch anderweitige Arbeiten der beiden, aber auch durch den frühen Tod von Rolf Dieter Brinkmann sowie die Insolvenz des damaligen MÄRZ Verlags war es nicht zur Editions gekommen. – Die erhaltenen zentralen Text-Stücke, seit kurzem als Vorlaß von Ralf-Rainer Rygulla im Literatur-Archiv Marbach aufbewahrt, sind durch Briefwechsel und Montage-Pläne, durch Scribbles und Redaktionsnotizen, aber auch durch Einlassungen Dritter zu dem Projekt und der in ihm anvisierten literarischen Ästhetik sowie durch zahlreiche Illustrationen zu Frank Xerox ergänzt.
Ein ähnliches ästhetisches Abenteuer wie »Der Ganze Riemen« als Zusammenarbeit von Josef Beuys, der im Frank Xerox seinen Auftritt hat, mit Johannes Stüttgen ist mit unserem Band les- und nachverfolgbar.
Ein Lese-Vergnügen jenseits üblicher Buchvorstellungen und Lesegewohnheiten!
Mehr zu Autor und Buch auf der Website des Verlags unter:
http://www.dielmann-verlag.de/de/content/Brinkmann/~nm.18~nc.57/Gesamtliste.html#x
Inhaltsverzeichnis:
Im Lachen zerfällt der Mensch
Aller Anfang ist schwer
Muscheln
Unterhosen
Zugluft
Falsche Gegenwart: „Ostsee-Touristik“ BRD
Der Filz und der Mensch
Kopfnüsse, Brötchen und Gummiwaren
Gedicht über 4 Fische
Frank Xerox’ wüster Traum
„Zurück“
Be my Stewardess
Der längste Zug der Welt
Wenn ich du wäre
Die Bücher
Sein Album
Gaston ans Knie
Sichtverhältnisse
Strumpfhosen von Arwa
Für Gustav
Ostern in Köln
Endlich das Abitur bestanden
Gedicht für Frau … piep …
Zwei Nachrichten 1969
Ferien
Warum lächelst du jetzt? (Ein Foto)
Einmal
Paul Eluard, Après moi le sommeil
Durch mich die Meil
Federico Garcia Lorca, La aurora
Lorca in Dortmund
Guillaume Apollinaire, La jolie rousse
Der joviale Russe
Der Sieger
Aus unserer Küche
Die neun Leben des Elvis Presley
Zehn Münzen aus Albanien
Zu Frank Xerox:
Ralf-Rainer Rygulla zu Frank Xerox
Umschlagentwurf
Rolf Dieter Brinkmann Notizen zu Frank Xerox
Rolf Dieter Brinkmann Schmeiß das weg
Foto (privat)
Rolf Dieter Brinkmann Eine Geschichte aus dem Weltall
Der Filz und der Mensch (nicht zusammengeführt)
Begleitbrief zu ‚Der Gummibaum‘
Marianne Kesting, Würdigung
Dieter Wellershoff, Sind das überhaupt noch Gedichte
Rolf Dieter Brinkmann Ein paar Hinweise
Michael Töteberg, Nachweise
Nachwort von Ralf-Rainer Rygulla (2025), Anfang:
Grenzüberschreitungen waren nicht zu vermeiden in der bewegungsarmen Enge Westdeutschlands der 60er Jahre. Mode, Frisur, Sexualität, Drogen, Politik, alles war geprägt von einem schwarz-weißen, bleiernen Konsens, und die Literatur, mit überkommenen ästhetischen Regeln, befangen in einer halbherzigen und moralisch starren Vergangenheitsbewältigung.
Rolf Dieter Brinkmann lernte ich im April 1960 kennen. Wir kamen beide aus der Provinz. Ich war 16 Jahre alt, literaturbegeistert, Lyrik-Leser und (heimlicher) -Verfasser. Rolf Dieter war 20 und Dichter – ohne den geringsten Selbstzweifel ein Dichter, und diese Identität bestimmte seinen Alltag, forderte seine Freunde, Bekannten, und durchdrang jeden Aspekt, jeden Umstand seines Lebens. Es begann eine intensive und von Beginn an schonungslose Freundschaft. Zufallzwangsläufig? Wir waren nicht nur Lehrlinge in derselben Essener Buchhandlung, wir wohnten auch im selben Wohnheim für Krupp- und Thyssen-Lehrlinge.
19-jährig zog ich im Juni 1963 mit Erlaubnis des Kreiswehrersatzamtes nach London. Dort jobbte ich bei Foyles, der „größten Buchhandlung der Welt“, so die Eigenwerbung. Schräg gegenüber auf der Charing Cross Road befand sich ‚Better Books’, ein kleiner Buchladen, der eine Kooperation mit Lawrence Ferlinghettis City Lights Bookshop in San Francisco pflegte. Er wurde in den nächsten Jahren, neben Barry Miles‘ Indica Bookshop zu einer Fundgrube für neue, mir bis dahin unbekannte literarische Töne und Formen. Die Publikationen, Bücher, Drucksachen, Hefte, getackerten Broschüren, die ‚little mags‘ aus den USA sprengten bereits durch Form und Aufmachung alle mir vertrauten Konventionen.
Von einer anderen, überraschend parallelen Zufallzwangsläufigkeit lese ich in Michael Krügers im Jahr 2023 erschienenen Erinnerungen Verabredung mit Dichtern. Er begann seinen London-Aufenthalt ein Jahr früher als ich, 1962 bis 1965. Allerdings landete er am anderen Ende des Regenbogens – als Buchhändler im Luxuskaufhaus Harrods. Deren Buchabteilung belieferte das Königshaus, sie war ein Treffpunkt der Londoner Literatur-Elite, und dort lernte er sie kennen: Elias Canetti, Erich Fried, Norbert Elias, Marion Boyars, Großverleger Lord Weidenfeld und so fort. Als Avantgarde nahm Krüger, der spätere Hanser-Verleger, Dichter und Akademiepräsident, das englische „Sozialtheater“ der Autoren Harold Pinter, Arnold Wesker oder David Rudkin wahr.
In den Jahren 1967 bis 1969 erschienen die drei Anthologien »Fuck You« und »Acid« und »Silverscreen«. Sie landeten als Fremdkörper in der westdeutschen Hochkultur. Aber sie entpuppten sich sofort als überfällig. Die Resonanz war überwältigend. Es schien, als hätte die damalige Gegenwartsliteratur nur darauf gewartet. Zu Acid gab es begeisterte Besprechungen, nachdem noch über den schmalen Band »Fuck You – Underground Gedichte« gelästert worden war. Hans Paeschke von der Zeitschrift ‚Merkur‘ wendete sich ab, „weil man sowas doch nur im masturbatorischen Pubertätsalter ernstnehmen kann“. Helmut Heißenbüttel interessierten die „voraussetzungslosen fuck-Apologeten“ nicht. Beide hatten die Botschaft der von mir herausgegebenen Textsammlung wohl verstanden, waren aber nicht in der Lage, von ihrem gewohnten akademischen Hochsitz in die Niederungen des Alltäglichen runterzuschauen. Und Tabuverletzungen sind anstrengend, man muss Position beziehen.
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